Am 22. September 2013 wählten die Deutschen den neuen Bundestag mit sensationellem Ergebnis: Erstmals in ihrer Geschichte ist die FDP nicht im deutschen Parlament vertreten und scheiterte knapp mit 4,8% der Stimmen.
Ihr schärfster Konkurrent, die im Frühjahr gegründete Anti-Euro-Partei “Alternative für Deutschland” (AfD) kam knapp hinter ihr auf 4,7%. Beide sind damit nicht im Parlament vertreten. AfD-Anhänger witterten unmittelbar Wahlbetrug. Aus Sicht der Mitglieder ist das nachvollziehbar: Hatte doch Parteichef Lucke erklärt, die Umfragen seien manipuliert und man stehe bei 8-9% – Eine Aussage, für die er eine Verfügung vom Gericht bekam, sie nicht zu wiederholen. Hatte doch der von der AfD häufig zitierte Internet-Dienst Wahl-Radar 2013 in seiner Meta-Prognose vom 19. September die AfD noch auf 7,3% taxiert. Kritikern fiel schnell auf, dass der Unternehmer hinter diesem Prognosedienst selber AfD-Aktivist war.
Es ist nicht verwunderlich, dass auf der Facebook-Seite von AfD schnell einige User von angeblichen Ungereimtheiten im Wahllokal raunten. So knapp gescheitert, da kommen schnell komische Ideen zustande.
In dieser Situation ist es wichtig, einen kühlen Kopf zu bewahren und das Vertrauen in unsere Demokratie nicht zu beschädigen. Selbst der AfD-Führung ist es mittlerweile peinlich, mit welcher Verve enttäuschte Anhänger unseren Institutionen flächendeckenden Betrug vorwerfen. Daher fordert er die Fans bei Facebook auf:
Der Bundesvorstand hat mögliche Probleme bei der Auszählung der Stimmen zur Kenntnis genommen und wird den Vorwürfen natürlich nachgehen.
und die nötigen Schritte einleiten.
Bis zu diesem Zeitpunkt möchten wir Sie bitten, von Aussagen Abstand zu nehmen, die in der Presse falsch aufgefasst werden könnten
Um deutlicher zu machen, warum viele im Internet und in Leserbriefen kursierende Betrugsszenarien übertriebene Ängste sind, habe ich einige typische Behauptungen herausgesucht und kommentiert.
“Im Wahllokal wurden Stimmzettel radiert”
In den meisten Wahllokalen liegen Kugelschreiber aus. Nur in wenigen Wahllokalen werden Bleistifte verwendet. Jeder Stift ist legal, mit dem deutlich erkennbare Markierungen gemacht werden können. Der Wähler trägt seinen Stimmzettel zur Wahlurne und wirft den Zettel selbst ein. Die Urne ist mit einem Schloß gesichert und mit einem Siegel versehen, das erst nach 18 Uhr im Beisein aller Wahlhelfer und Wahlbeobachter geöffnet und dabei zerstört wird. Zu keinem Zeitpunkt könnte irgendwer außer dem Wähler selbst Radierungen vornehmen.
“Die Wahlhelfer lassen Stimmzettel verschwinden”
Jeder Wähler wird im Wählerverzeichnis markiert, wenn er seinen Stimmzettel einwirft. Die Urne ist mit einem Schloß gesichert und mit einem Siegel versehen, das erst nach 18 Uhr im Beisein aller Wahlhelfer und Wahlbeobachter geöffnet und dabei zerstört wird. Verschwundene Stimmzettel würden auffallen, weil die Zahl der Markierungen im Protokoll nicht zur Zahl der Wahlzettel passen würde.
Vor Beginn der Auszählung werden alle leeren Stimmzettel vom Tisch entfernt und in einem Karton gelagert, sodass nicht versehentlich oder absichtlich weitere Stimmzettel hinzugefügt werden können.
“Die haben meinen Ausweis nicht kontrolliert”
Der Wahlvorstand hat das Recht, aber nicht die Pflicht, den Ausweis des Wählers zur Identifizierung zu verlangen. Normalerweise übergibt der Wähler die Wahlbenachrichtigung (meist eine Postkarte) mit einer Nummer an den Wahlhelfer. Der Wahlhelfer schaut, dass derjenige im Wählerverzeichnis vorhanden ist, dass das Geschlecht stimmt und auch das Alter ungefähr zum Aussehen passt. Bei Zweifeln oder stichprobenartig verlangt er ein Ausweisdokument. Der Wahlvorstand behält die Wahlbenachrichtigung nach der Wahl ein.
“Die Wähler gehen zweimal wählen – einmal mit Ausweis, einmal mit Wahlkarte”
Wähler, die bereits gewählt haben, werden im Wählerverzeichnis markiert. Eine doppelte Stimmabgabe, einmal mit Karte und einmal mit Ausweis, ist ausgeschlossen.
“Einige Wähler machen Briefwahl und gehen dann nochmal wählen”
Briefwähler sind im Wählerverzeichnis vermerkt und können nicht regulär wählen.
“Einige Wähler klauen Wahlkarten und gehen mit diesen mehrmals wählen”.
Um es gleich vorweg zu sagen: Es handelt sich um eine Straftat, die bis zu fünf Jahren Haft bedeuten kann, wenn sie auffliegt. Praktisch wird das so aber nur sehr selten jemand wagen. Versuchen Sie es lieber nicht!
- Der Wahlvorstand besteht aus 7-9 Leuten, manchmal in zwei Schichten. Es sind immer mindestens drei Wahlhelfer anwesend, darunter der Wahlvorsteher oder sein Stellvertreter. Der Wahlvorstand könnte den Betrüger oder den Betrogenen persönlich oder namentlich kennen.
- Das Geschlecht muss passen
- Das Alter muss passen
- Es fällt auf, wenn dieselbe Person mehrfach im Wahllokal auftaucht
- Es fällt auf, wenn der echte Wähler zuvor schon mit Ausweis wählen gegangen ist. Hören Sie schon die Handschellen klicken?
- Es fällt auf, wenn der echte Wähler nach Erhalt der Wahlbenachrichtigung verstorben oder verzogen ist – die Listen werden vor der Wahl und noch am Wahltag berichtigt.
- Es fällt auf, wenn der echte Wähler Briefwahl beantragt hat. Das kann er unabhängig vom Versand der Wahlbenachrichtigung tun.
- Es fällt auf, wenn der echte Wähler später zu wählen versucht. Dann kriegt man den Betrüger vielleicht nicht, aber man bemerkt den Betrug.
Es ist nicht bekannt, dass solche Fälle gehäuft aufgetreten sind. Die Meldung stellt sich bei näherer Betrachtung meist als Hörensagen heraus.
“Die Wahlhelfer erklären unerwünschte Stimmen für ungültig”
Damit ein Stimmzettel als ungültig gilt, muss er laut Gesetz entweder leer, gefälscht oder falsch ausgefüllt sein. Zu viele Kreuze oder irgendwelche Stichwörter und Markierungen auf dem Stimmzettel machen einen Wahlschein ungültig. Die Wahlhelfer werden vor der Wahl geschult, welche Fälle gültig und welche ungültig sind. Mindestens für den Vorsitzenden des Wahllokals und den Schriftführer ist diese Schulung verpflichtend.
Die Auszählung findet öffentlich statt, Sie können also zusehen. Eindeutig ungültige Stimmzettel (alles/nichts angekreuzt usw) werden in einem gesonderten Stapel gezählt und an den Kreiswahlleiter gegeben. Über Zweifelsfälle stimmt der Wahlvorstand gemeinsam ab, das Abstimmungsergebnis und das Urteil werden auf dem Stimmzettel notiert. Diese Streitfälle werden ebenfalls in einem besonderen Umschlag an den Kreiswahlleiter gegeben und können bei begründetem Verdacht nachgeprüft werden.
“Die Wahlhelfer haben sich verzählt”
Die Auszählung findet nach einem festgelegten Verfahren statt, die einzelnen Zählschritte werden protokolliert:
Zunächst werden die Stimmzettel durchgezählt und Abweichungen von der Zahl der Vermerke im Wählerverzeichnis überprüft.
Dann sortieren die Wahlhelfer die Stimmzettel:
- Stimmzetteln mit Erst- und Zweitstimme auf derselben Höhe (zB Linke-Kandidat und Linke-Liste)
- Stimmzettel mit nur Erststimme, nur zweitstimme, Erststimme und Zweitstimme auf derselben Höhe (zB CDU-Direktkandidat, AfD-Listenstimme)
- Zweifelsfälle
- Eindeutig ungültige und nicht ausgefüllte Zettel
Die verschiedenen Stapel werden im weiteren Verfahren durchgezählt, auf die Details gehe ich hier nicht ein. Da alle Schritte protokolliert sind und die Stimmzettel in sortierten Stapeln abgegeben werden, können Nachzählungen und logische Konsistenzprüfungen leicht erfolgen.
Abschließend muss man sagen: Vorsätzlicher Wahlbetrug ist strafbar, aufdeckungsgefährdet und mit vertretbarem Aufwand nur in so kleinem, wirkungslosen Maß möglich, dass niemand, der bei Verstand ist, sich darauf einlässt. Fehler hingegen sind schon öfter passiert und werden weiter passieren. Das komplizierte Verfahren stellt auf vielfache Weise sicher, dass die ehrenamtlichen Wahlhelfer Irrtümer, Flüchtigkeitsfehler und dergleichen selbst entdecken können und dass unabhängige Prüfungen hinterher leicht möglich sind. Der annehmbare Restfehler, ob nun durch Irrtum oder Betrug, ist dabei so gering, dass er nicht die Sitzverteilung im Bundestag beeinflusst. Knappe Fälle und statistisch arg abweichende Wahllokale werden routinemäßig kontrolliert.